ARCHIV
KONZERTSERIE „ECHO DES UNERHÖRTEN“
Seit 2015 nimmt das Erweckte Stimmen Forum-Wien an der von der Musikwissenschaftlerin Dr. Irene Suchy Konzert Konzertserie „Echo des Unerhörten“ im großen Sendesaal des ORF teil. Dieses Program mit Kammermusik und Symphonik, Poesie und Diskurs versucht Musiker/innen und deren Werke, die aus politischen Gründen verfemt und verdrängt wurden und werden, ins Bewusstsein des Publikums zu bringen.
In diesem Rahmen hat das Forum 6 Konzerte mit internationalen und österreischichen Orchestern oder Kammerensemblen veranstaltet.
Dr. Beverly Clarckson, Pr. Austin Clarckson, Dr. Irene Suchy
extreme Subjektivität des Wiener Fin de Siècle; die andere – mit Toch, der auch Wiener war -, und bis zum Ende des Ersten Weltkriegs in einem von Brahms inspirierten romantischen Stil komponiert hatte, bevor er sich mit dem Zappelfilip Hindemith einer distanzierteren Objektivität zuwandte – wird als Neue Sachlichkeit von der reaktionären Presse scharf stigmatisiert : ein „Verwesungssymptom“, so Pfitzner in seinem Pamphlet Die neue Ästhetik der musikalischen Impotenz. Was haben diese zwei Strömungen gemeinsam? Wenig, außer dass ihre Protagonisten jüdischer Abstammung bzw. mit Juden verwandt waren (Hindemith). Entartung ist nur der Ausdruck des rassistischen Verdachts. Wenn man dem energievollen Einfallsreichtum der vier Werke dieses Programms zuhört, kommt man schnell zu der Erkenntnis, dass Musik damit nichts zu tun hat.
SECHSTES KONZERT
Vom Spät-Romantizismus zur Neuen Sachlichkeit
Die verdächtigen Verwandlungswege des
Wiener Parfums, 7. Dezember 2016.
Ernst Toch (1887-1964): Ouvertüre zur Oper Der Fächer op. 51
Gustav Mahler (1860-1911)/Richard Dünser: Rückert Lieder
Erich Wolfgang Korngold (1897-1957):
Musik zu Shakespeares "Viel Lärmen um nichts", op. 11
Paul Hindemith (1895-1953): Herodiade
Daniel Serafin, Bariton
Euro Symphonie SFK
Leitung : Amaury du Closel
Obwohl die Musik der vier Komponisten dieses Konzerts in den Augen der Konservativen und ihren nationalsozialistischen Verbündeten als „entartet“ galt, ist die sogenannte “entartete Musik” kein musikalischer, sondern ein rein politischer und rassistischer Begriff. Dies lässt sich mit diesem Programm leicht wahrnehmen, das uns zwei widersprüchliche musikalische Strömungen präsentiert: die eine – Mahler und dessen Schützling, das Wunderkind Korngold – verkörpert und verlängert die
FÜNFTES KONZERT
Von erstickten zu erweckten Stimmen.
Donnerstag 27. Oktober 2016
Ernst Toch (1887-1964): Musik für Orchester und
eine Baritonstimme op. 60
Dimitri Schostakowitsch (1904-1975): Drei Romanzen nach Gedichten von Puschkin op. 46a
Franz Schreker (1878-1934): Der Geburtstag der
Infantin
Pierre-Yves Pruvot, Bariton
Banater Staatsphilharmonie Timisoara
Dirigent: Amaury du Closel
Grußwort von S.E. Herr Bogdan Mazuru, Botschafter von Rumänien in der Republik Österreich.
Unter der Schirmherrschaft der Botschaft von Rumänien in der Republik Österreich und im Rahmen des rumänischen International Holocaust Remembrance Alliance Vorsitzes.
Das Erweckte Stimmen Forum-Wien wurde 2015 vom in Wien lebenden Dirigenten und Musikwissenschaftler Amaury du Closel unter dem Namen Erstickte Stimmen Forum-Wien gegründet. Ziel des Forums ist die Wiederentdeckung und Verbreitung der Werke von KomponistInnen, die von den europäischen Totalitarismen des zwanzigsten Jahrhunderts vertrieben wurden. Warum solch eine Umbenennung? Wie der Titel dieses Konzerts („Von erstickten zu erweckten Stimmen“) unterstreicht, ist es uns vor allem ein Anliegen, das Augenmerk auf die „Erweckung“ der Stimmen zu legen.
Wichtig dabei ist, den politischen Kontext der damaligen Zeit zu verstehen, der zur Verfolgung dieser Musikschaffenden führte, bzw. zu verstehen, warum ihre Stimmen „erstickt“ wurden. Schreker zum Beispiel gilt wahrscheinlich als eines der ersten Opfer der NS-Zeit, und Toch wurde von denselben Nazis ins Exil getrieben.. Musikalisch gesehen vertreten aber all diese Komponisten etwas viel Bedeutenderes: Sie gehören zu den Gründern der europäischen Moderne. Ihre Stimmen zu erwecken ist daher auch aus historischer Sicht zweckdienlich. Es wird damit ein Beitrag geleistet, die Archäologie dieser Moderne zu rekonstruieren, und das Musikleben zu bereichern.
VIERTES KONZERT
Wie engagiert darf ein Komponist sein?
28. April 2016
Erwin Schulhoff (1894-1942) : Fünf Stücke für Streicher
Karl Amadeus Hartmann (1905-1963) : Concerto funebre
Mieczyslaw Weinberg (1919-1996) : Erste Kammer-sinfonie für Streicher op.145
Mario Hossen, Violine
Camerata Orphica
Dirigent : Amaury du Closel
Dieses letzte Konzert der ersten Saison des Erstickte Stimmen Forums-Wien im RKH stellt drei Komponisten vor, deren politisches Engagement ihre Werke stark geprägt hat.
Als Anhänger der Kommunistischen Partei vertonte 1932 der Prager Komponist Erwin Schulhoff das Kommunistische Manifest von Marx und Engels. Er galt als einer der führendsten Vertreter der tschechischen Avantgarde, und beschäftigte sich u.a. mit Jazz- und Tanzmusik, wie die Fünf Stücke für Streicher, die im Programm unserer Veranstaltung enthalten sind.
Hartmann war knapp dreißig Jahre alt, als seine von Dada und Jazz beeinflusste Musik vom NS-Regime als „entartet“ gebrandmarkt wurde. Trotzdem bleibt der überzeugte Antifaschist im „inneren“ Exil in Deutschland. 1939 komponiert er sein Concerto funebre (1938) für Violine und Streichorchester als Protest gegen den Einmarsch NS-Deutschlands in die Tschechoslowakei.
Als einziger Überlebender seiner Familie nach einer anderen Invasion, der von Polen, fand Mieczyslaw Weinberg Zuflucht in der UdSSR, wo er nach dem zweiten Weltkrieg Opfer des stalinistischen Antisemitismus wird. 1948 war sein Schwiegervater, der berühmte Schauspieler Solomon Mikhoels, auf Befehl Stalins ermordet worden. 1953 wird Weinberg für zionistische Verschwörung verhaftet. Mit Werken wie der Oper Der Passagier und vier seiner Sinfonien, die als Zeugnisse des Antisemitismus des sowjetischen Totalitarismus und als Andenken an den Holocausts gelten, fand Weinberg den einzigen Weg zu einer Form des Widerstands gegen das Regime.
Vom Stummfilm zu Verstummten Stimmen
18. Februar 2016
Der Schatz (1922), Film von Georg-Wilhelm Pabst, Musik von Max Deutsch
1. Frauen-Kammerorchester von Österreich
Dirigent: Amaury du Closel
Seit seinen frühen Anfängen ist das Filmgenre nicht denkbar ohne Musik. So erstaunt es nicht, dass im Anschluss an den Ersten Weltkrieg, als sich der Film zu einem eigenständigen Industriezweig entwickelt und zum Massenmedium avanciert, die Funktion der Musik als untermalendes Element immer mehr an Bedeutung gewinnt. Jüdische Komponisten wie Max Deutsch spielen in dieser kreativen Landschaft eine wichtige Rolle – bis zur Machtergreifung Hitlers, die die meisten von ihnen ins Exil zwingt.Der Schatz ist G.W. Pabsts Filmdebüt und zugleich letzter Film aus der Epoche des deutschen expressionistischen Filmschaffens. Er visualisiert eine Parabel über die Dialektik zwi¬schen der Macht materieller und der ideeller Werte – ein Thema von bis heute ungebrochener Aktualität. Die Originalkomposition von Max Deutsch, seinerseits Schüler von Arnold Schönberg, stellt ein einma¬liges musikhistorisches Dokument dar: Sie ist die erste durchkomponierte Filmsym¬phonie in fünf Akten.
Inhalt: In einer alten Glockengießerei in Slowenien lebt der Meister Svetocar Badalic mit seiner Frau und seiner Tochter Beate sowie dem Gesellen Svetelenz. Am Feierabend erzählt der Alte von jenem sagenumwobenen Jahr 1684, als die Türken das Land verwüsteten und auch die Glockenschmiede bis auf die Grundmauern in Schutt und Asche legten. Einem Ge¬rücht zufolge hätten sie dabei einen Schatz zurückgelassen. Svetelenz möchte diesen Schatz finden und Beate zur Frau gewinnen. Er liest geheimnisvolle Bücher, schneidet sich eine Wünschelrute und macht sich nachts auf die Suche.
DRITTES KONZERT
ZWEITES KONZERT
Swing verboten
Freitag, 11. Dezember 2015
Stefan Wolpe (1902-1972): Suite from the Twenties (österreichische Uraufführung)
Matyas Seiber (1905-1960): Zwei Jazzolettes (österreichische Uraufführung)
Emil Burian (1904-1959): Suite américaine (österreichische Uraufführung)
Erwin Schulhoff (1894-1942): Hot sonata
Ensemble Voix Etouffées
Leitung: Amaury du Closel
Schon unmittelbar nach der Niederlage von 1918 gelangt „Nigger-Jazz“ im deutschen Raum in das Gepäck der alliierten Truppen. Die Besetzung der Ruhr, der wachsende amerikanische Einfluss und der Auftritt von Jazzbands in deutschen Klubs werden von jenen als Angriffe gegen die deutsche Kultur und als „soziale und moralische Verwesungssymptome“ (Pfitzner) empfunden, die auf die Entstehung eines vereinten deutschen Reiches nicht verzichten wollen.
Für die jungen Komponisten bedeutet Jazz im Gegenteil eine großartige Gelegenheit, ihre musikalische Sprache zu erneuern. Er ist mit den meisten Avantgarde-Bewegungen der Zeit verbunden – wie die November-Gruppe, an der Stefan Wolpe und Erwin Schulhoff teilnehmen –, und findet seine Verankerung in der Eröffnung der ersten Jazzklasse im Hoch’schen Konservatorium in Frankfurt unter der Leitung von Matyas Seiber.
Vom Erlass „Wider die Negerkultur für deutsches Volkstum“ des NS-Kulturministers Wilhelm Frick bis hin zur Hassfigur des schwarzen Saxophonspielers mit Zylinder und jüdischem Stern auf dem Programm der Düsseldorfer Ausstellung „Entartete Musik“ 1938 zeigt Jazz die Besessenheit der NS-Kulturpolitik.
Das vom französischen Ensemble Voix Etouffées präsentierte Programm gibt dem Wiener Publikum eine Chance, Meisterstücke dieser außergewöhnlichen Musikgattung wiederzuentdecken.
ERSTES KONZERT
Von Weimar bis Leningrad: Die verdrängte Avantgarde 1918-1938
28. Oktober 2015
Nicolai Roslavets: Poème Douloureux, Poème Lyrique (aus Trois Poèmes)
Nicolai Obukhov: Six Prières
Dmitri Schostakovitch: 1.Klaviertrio op.8
Nicolai Roslavets: Tanz Nr.2 Nocturne (aus Drei Tänze)
Karl Amadeus Hartmann : Tanzsuite
Stefan Wolpe : Konzert für neun Instrumente (Uraufführung der von Austin Clarckson rekonstruiten Fassung)
Klangforum Wien
Sophie Schafleitner, Violine
Leitung : Amaury du Closel
Alle im Programm aufgeführten Komponisten gehörten der Avantgarde ihres Landes an, in Zeiten von großer politischer Unsicherheit. Die 20er-Jahre waren in Deutschland und in der UdSSR von großer Kreativität und Schaffensfreiheit geprägt. Zehn Jahre später bedrohte Nazismus die als deutsch-feindlich betrachtete Modernität, die Künstler wie Wolpe vertraten, weil sie entweder Jude oder Kommunisten (oder beides) waren. Ab 1928 begrenzen nach und nach die sowjetischen Kulturbehörden diese Schaffensfreiheit, und klagen sie an, im Widerspruch mit der sowjetischen Realität zu sein.
ln der Weimarer Republik und in Russland nach der bolschewistischen Revolution entstand eine Vielfalt musikalischer Strömungen, die später vom Nationalsozialismus und Stalinismus zerstört werden. Nicht irgendein Recht auf Gedächtnis ist der Grund, aus dem das Werk die Bedeutung ihres musikalischen Schaffens und auch das Versprechen der Erneuerung, das ihre Kompositionen für die moderne kulturelle Welt darstellen. Diese Musik wurde in einer Periode der wirtschaftlichen und geistigen Not geschaffen, die unserer aktuellen Situation in vielem frappant ähnlich ist, und sie vertritt Prinzipien, die eine enge Resonanz in unserer Gesellschaft finden: Verdinglichung, Freiheit, Entfremdung, Utopie.
Verschleppt wie Nikolai Roslavets, ins Exil getrieben wie Stefan Wolpe (in die USA) oder Nikolai Obukhov (nach Frankreich), oder ins innere Exil gezwungen wie Karl Amadeus Hartmann oder Dmitri Schostakowitsch, sind alle diese Schaffenden fehlende Glieder innerhalb der Modernität.
ERWECKTE STIMMEN FORUM WIEN - Hohlweggasse 38/59 - 1030 - WIEN Tel : +43 (0)660 400 65 08